Publikationen
Museen im Nationalsozialismus. Akteure - Orte - Politik
Baensch, Tanja; Kratz-Kessemeier, Kristina; Wimmer, Dorothee (Hrsg.)
Veröffentlichungen der Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V., Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2016.
ISBN-13: 978-3-412-22408-0, 411 Seiten, EUR 40.00
Rezensiert von Lukas Cladders, Charité - Universitätsmedizin Berlin
Museen und Nationalsozialismus – ein Thema, das auf den ersten Blick für ein breit beackertes Forschungsfeld zu stehen scheint. Immerhin ist das Wissen um die Mobilisierung der Ur- und Frühgeschichte, der Anthropologie und der Heimatmuseen für nationalsozialistische Vorstellungen von „Blut und Boden“, die Ausschaltung der deutschen Moderne als „entartete Kunst“ und um den jüdischen Bürgern unter Zwang entzogenen Kunstbesitz unter Historikern wie Kunsthistorikern längst allgemein verbreitet. Trotzdem ist den drei Herausgeberinnen des Sammelbandes, der aus einem, zusammen mit Sabine Beneke, Sven Kuhrau und Andrea Meyer organisierten und vom 13.-15. Juni 2013 am Deutschen Historischen Museum in Berlin abgehaltenen Symposium „Museen im Nationalsozialismus“ entspringt, ohne Zweifel das Verdienst zuzusprechen, erstmalig die Breite des Themas erfasst zu haben und dabei dezidiert die Perspektive der Museen einzunehmen. Wie Tanja Baensch in ihrer gelungenen Einführung zeigt, haben Forschungsarbeiten erst seit den 1980er-Jahren institutionenkritische Positionen eingenommen und die Beschäftigung einiger großer Museen mit ihrer eigenen Geschichte der Jahre 1933-45 begann tatsächlich erst vor wenigen Jahren. Insofern bieten die 20 Beiträge die Möglichkeit, am Beispiel unterschiedlicher Museumstypen die Vielschichtigkeit des Spannungsverhältnisses von musealer Entwicklung und ideologischer Politisierung zu ergründen.
Die Strukturierung des Bandes nach den Themengebieten „Museumspolitik“, „Akteure im Museum“, „Ausstellungen, Propaganda und Publikum“, „Kunst und Ideologie“ sowie „Symbolorte“ ist dabei leider nur teilweise gelungen. Letztlich behandeln alle Beiträge des Bandes diese miteinander eng verflochtenen Bereiche, wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung. Die Trennung und Zuordnung der Beiträge wirkt deshalb an einigen Stellen erzwungen. Insbesondere die Gegenüberstellung von „Politik“ und „Akteuren“ vermittelt den von den Herausgebern sicher nicht intendierten, weil inhaltlich durch alle Beiträge klar widerlegten Eindruck, beides sei getrennt voneinander zu denken. Nichtsdestotrotz ist die Aufteilung als Hilfskonstruktion, um der Vielzahl sich auf verschiedenen Ebenen unterscheidender Beiträge Herr zu werden, vertretbar und vermittelt gut die Koordinaten der angestrebten Analyse. Mit einem kleinen Fragezeichen zu versehen ist die Auswahl weniger, in ihrer Qualität deshalb nicht minder guter Beiträge. Der Titel „Museen im Nationalsozialismus“ lässt nach Verständnis des Rezensenten eigentlich keinen Raum für Beiträge aus dem Gebiet des faschistischen Italien der 1930er-Jahre (vor der „Achse Berlin-Rom“) oder des ständestaatlichen Österreich vor dem „Anschluss“. Trotzdem ist deren Aufnahme, gerade auch aus dem Aspekt der Kontrastierung mit den Befunden für das Deutsche Reich, gut zu rechtfertigen.
Die ersten vier Beiträge zur „Museumspolitik“, die sich von der Rolle des Deutschen Museumsbundes (Kristina Kratz-Kessemeier), einer 1937 vom Reichserziehungsministerium organisierten „Tagung deutscher Museumsdirektoren“ (Petra Winter) zur „Selbstinszenierung“ der deutschen Museen auf der Pariser Weltausstellung 1937 (Christina Kott) und der Museumspolitik des faschistischen Italien in den 1930er-Jahren (Marta Nezzo) bewegen, zeigen eindrucksvoll, auf welcher Folie sich die Museumspolitik faschistischer Staaten manifestierte. Die Professionalisierung von Museumspraktiken, die Herausbildung eines Berufsstandes und die Debatte um das moderne Museum – Entwicklungen, die in der Zwischenkriegszeit eine starke Dynamik entfalteten –, wirkten auch bei Ideologisierung der Inhalte fort. Trotzdem, so zeigen die Beiträge, bedeutete die Änderung der politischen Rahmenbedingungen eine neue Kontextualisierung bestehender Konflikte (wie dem um die angemessene Präsentation von Ausstellungsobjekten) und die Setzung neuer Schwerpunkte (wie die Förderung der Museen für Ur- und Frühgeschichte und der Heimatmuseen). Es ist bemerkenswert, dass trotz massiver Nationalisierung der Inhalte die fachliche Diskussion über Museumspraxis weiterhin transnational geführt wurde. Der Beitrag zur Entwicklung der Berliner Museumslandschaft (Hans Georg und Katrin Hiller von Gaertringen) steht dagegen für sich und zeigt sehr anschaulich, dass die Machthaber keine umfassende Neuordnung der Berliner Museumslandschaft anstrebten, es nur wenige Neugründungen von Museen gab und nur wenige kleinere und nicht-staatliche Häuser schließen mussten. Überraschend spät datieren dann auch die erzwungenen Schließungen der der Moderne gewidmeten Abteilung der Nationalgalerie im Kronprinzenpalais (1937) und des Jüdischen Museums (1938).
Der in der NS-Forschung so viel gebrauchte Begriff der „Handlungsspielräume“ steht im Titel des ersten Beitrags zu „Akteuren im Museum“, betrifft aber auch die beiden anderen Beiträge dieser Sektion. Mit dem Blick auf das Museum Lüneburg (Ulfert Tschirner) lassen sich Karriereperspektiven und Anpassungsmotive für Museumsfachleute durch die Ideologisierung kulturhistorischer Regionalmuseen sowie deren Einbettung in lokale Kontexte nachvollziehen. Die Untersuchung des akademischen wie nicht-akademischen Personalbestands am Wiener Kunsthistorischen Museum über Austrofaschismus, „Anschluss“ und Kriegsende hinweg (Monika Löscher/Susanne Hehenberger) bietet interessante Perspektiven nicht nur auf den „Brain Drain“ des Museums, sondern auch auf weibliche Karrieremöglichkeiten und die Militarisierung des Wachpersonals. Einer in der Museumsforschung wenig beachteten Gruppe widmet sich der Beitrag zu frei arbeitenden wie angestellten Restauratoren (Morwenna Blewett). Dieser zeigt, welche neuen Arbeitsmöglichkeiten sich mit dem durch verschiedene Akteure betriebenen NS-Kulturgutraub für diese Berufsgruppe auch in besetzten Ländern ergab.
Die folgende Sektion zu „Ausstellung, Propaganda, Publikum“ akzentuiert wieder stärker die politische Mobilisierung. Der erste Beitrag (Michael Tymkiw) macht deutlich, dass für das NS-Regime bestimmte nicht-museale Ausstellungsformate („Leistungsschauen“, Fabrik- und Hygieneausstellungen) ein höheres Ideologisierungspotential boten als „sperrige“ museale Kunstsammlungen, und in diesem Bereich massive Fortschritte im Bereich interaktiver Museologie erzielt wurden. Der folgende Beitrag (Margit Berner) zeigt anhand der Präsentation der anthropologischen Abteilung des Wiener Naturhistorischen Museums die Tradition rassistisch argumentierender Wissenschaft auch vor dem NS und die nach dem „Anschluss“ erfolgte Modernisierung der Ausstellung und ihre Zuspitzung auf antisemitische und rassekundliche Themen. Der Beitrag zur NS-Ausstellungspolitik im besetzen Krakau (Isabel Röskau-Rydel) zeigt, wie der NS-Kunstraub mit einer weitgehenden Schließung der Museen und der Abhaltung von Propagandaausstellungen einherging. Die Frage nach der Modernität des Nationalsozialismus wird in einem überblicksartigen Beitrag zu Architektur und Inszenierung deutscher Museen thematisiert (Nikolaus Bernau). Deutlich wird, dass die Versuche der Historisierung ideologischer Leitlinien zu einer Stärkung kulturhistorischer Narrative führte, dabei aber durchaus mit der Anknüpfung an museologische Konzepte der 1920er-Jahre verträglich waren.
Die vierte Sektion zu „Kunst und Ideologie“ eröffnet ein Beitrag zu den Abgaben „entarteter“ Kunst aus deutschen Museumssammlungen (Christoph Zuschlag). Dieser zeigt, dass es sich in vielen Fällen um Tauschaktionen handelte – eine Praxis, die bereits in der Zwischenkriegszeit weit verbreitet war - und stellt die Frage nach Motiven und Handlungsspielräumen beteiligter Akteure. Die ideologiekonforme Sammlungspolitik eines Museums für zeitgenössische Kunst mit Lokalbezug und dessen lange Nachwirkung thematisiert ein Artikel zur 1941 gegründeten Städtischen Galerie Würzburg (Bettina Keß). Einen lokalen Bezugsrahmen hat auch der Artikel über personelle wie konzeptionelle Umbrüche am Schlesischen Museum in Breslau (Diana Codogni-Łańcucka), hier aber noch unter zusätzlicher Berücksichtigung des besonderen Einflusses der NS-Ostpolitik gegenüber Polen. Neuland betreten die Autoren des Artikels zur Strossmayer-Galerie in Zagreb zur Zeit des unabhängigen Staates Kroatien (Iva Pasini Tržec/Ljerka Dulibić): Deutlich wird, wie sehr das Museum von der staatlichen Kulturpolitik und damit auch durch das Verhältnis des Landes zu den faschistischen Bündnispartnern Deutschland und Italien dominiert wurde.
Der letzte Abschnitt zu „Symbolorten“ beginnt mit einem Beitrag zur Instrumentalisierung des Berliner Zeughauses im NS (Thomas Weißbrich), der vor allem die Re-Interpretation der Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Charakter als „Beutemuseum“ während des Krieges thematisiert. Die Konsequenzen der ambivalenten nationalsozialistischen Goethe-Rezeption für die Gründung des Goethe-Nationalmuseums in Weimar zeigt ein weiterer Beitrag (Paul Kahl). Anhand des Lippischen Landesmuseums in Detmold (Uta Halle) wird dargelegt, dass die bereits aus der Zeit vor 1933 datierende völkische Laienforschung letztlich nicht zu intensivierter archäologischer Arbeit um das Museum führte, sondern lediglich den (dem?) „Symbolwert der Region“ (S.320) nutzte. Archäologie und Denkmalschutz werden schließlich auch im letzten Beitrag (Reena Perschke) zu den prähistorisch-archäologischen Museen in den bretonischen Orten Vannes und Carnac im Spannungsfeld zwischen deutscher Besatzung und Vichy-Regime untersucht.
Der Rezensent betrachtet den Tagungsband als außerordentlich gelungen, nicht zuletzt durch das umfassend bereitgestellte Bildmaterial. Durch die Mischung von bekannten und bisher nicht bearbeiteten Themen und Beispielen sowie changierende Mikro- und Makroperspektiven entsteht ein „rundes“ Bild des Forschungsfeldes, auch wenn der Blick nach Osten und auf die Museen als Profiteure des NS-Kunstraubs etwas zu kurz gekommen ist. Ebenfalls ist positiv hervorzuheben, dass die meisten Beiträge im Bewusstsein eines „Davor und Danach“ geschrieben wurden und damit die spezifische NS-Perspektive historiographisch umfassend kontextualisieren. Dass die inhaltliche Breite der Beiträge letztlich öfter die Frage nach der Spezifizität des Verhältnisses von Museum und Politik im Nationalsozialismus gerade im Vergleich mit anderen hochideologischen politischen Regimen aufkommen lässt, ist den Herausgeberinnen nicht anzulasten, sondern vielmehr Ausdruck für die Komplexität des Themenfeldes. Insofern handelt es sich um einen Beitrag zur NS-Forschung, dem zu wünschen ist, dass er weit über das Feld der Kunstgeschichte hinaus rezipiert wird.
Redaktion: Rainer Donandt
Weitere Informationen:
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